Pressemitteilung vom 13.02.2022 – 50 Jahre Gebietsreform

Wanfried, Altenburschla, Aue, Heldra und Völkershausen werden eins

Den wenigsten wird bewusst sein, dass die Stadt Wanfried im Jahr 2022 auf ein besonderes Ereignis vor 50 Jahren zurückblicken kann. Mit Wirkung vom 01. Januar 1972 wurde aus ehemals vier selbstständigen Gemeinden und der Stadt Wanfried die heutige Gebietskörperschaft mit der Kernstadt und den dazugehörigen Stadtteilen Altenburschla, Aue, Heldra und Völkershausen. Bürgermeister Wilhelm Gebhard lud aus diesem Grund die vier Ortsvorsteher Ulrich Flender, Bernd Auweiler, Helmut Bockel und Manfred Schneider in den Sitzungssaal des Wanfrieder Rathauses ein, um sich gemeinsam zu erinnern und dieses besondere Jubiläum zu beraten.

Der Sitzungssaal, in dem sich die fünf Kommunalpolitiker Ende Januar trafen, war im Jahr 1971 Schauplatz der Unterzeichnung der Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsverträge, die die Eingliederung der vier Gemeinden zur Stadt Wanfried besiegeln sollten. Sie wurden im Zeitraum von September bis Dezember 1971 mit den einst selbstständigen Gemeinden abgeschlossen.

Dem vorausgegangen waren in den Jahren 1959 bis 1966 bereits intensive Überlegungen der Hess. Landesregierung sowie aller im Hess. Landtag vertretenen großen Parteien zur Reform der Gemeinden und Kreise in Hessen. Die Gebiets- und Verwaltungsreform wird in den 60er Jahren zunächst in Südhessen, Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre dann auch in Mittel- und Nordhessen in Angriff genommen. Die beiden Ortsvorsteher Ulrich Flender und Manfred Schneider brachten zu dem Treffen Archivmaterial aus der Zeit der Gebietsreform mit. Den zahlreichen Zeitungsmeldungen zufolge verliefen die Verhandlungen der Städte und Gemeinden im Altkreis Eschwege nicht überall problemlos. Die Gebietsreform war ein Topthema dieser Zeit und beschäftigte die politischen Gremien der Städte und Gemeinden wie kaum ein anderes. Immerhin ging es um keine geringere Frage, wohin man zukünftig gehören wollte bzw. sollte und zu welchen Bedingungen man seine Eigenständigkeit aufgeben würde.

Völkershausen unterzeichnete als erste Gemeinde den Vertrag

Trotz einer Zeitungsmeldung vom Januar 1971, die titelte, dass es Überlegungen zum Zusammenschluss der Gemeinden Altenburschla, Heldra und Völkershausen gibt, war der Stadtteil Völkershausen am 17. September die erste Gemeinde, die den Vertrag zum freiwilligen Zusammenschluss mit der Stadt Wanfried unterzeichnete. Laut Ortsvorsteher Manfred Schneider hat die kleinste Gemeinde damals eine gut gefüllte Gemeindekasse und 65 ha Gemeindewald mit in die „Ehe“ gebracht. „Von dem Stadtwald profitiert Wanfried noch heute“, ergänzt Gebhard. Völkershausen war damit eine der ersten Gemeinden im ehemaligen Kreis Eschwege überhaupt, die einen Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsvertrag abgeschlossen hat. Am 22. Oktober 1971 folgte dann die Unterzeichnung mit der Gemeinde Aue. Vorausgegangen war eine Befragung aller Haushalte, die darüber entscheiden konnten, ob sich Aue der Stadt Wanfried anschließt oder ob eine eigenständige Gemeinde mit Frieda und Schwebda gegründet werden soll. Die Haushalte entschieden sich mit Mehrheit für Wanfried. Die Gemeindevertretung von Aue schloss sich dann diesem Bürgervotum an.

Nicht so reibungslos verliefen die Verhandlungen mit den Nachbargemeinden Altenburschla und Heldra. Altenburschla hat anfänglich versucht mit Heldra, Weißenborn und Rambach eine selbstständige Gemeinde aufzubauen. Dieses Vorhaben wurde aber vom hessischen Gemeindetag verworfen. Anschließend wurde noch der Versuch unternommen, den von Landrat Eitel O. Höhne vorgeschlagenen, jedoch vom Innenminister nicht akzeptierten Zusammenschluss von Altenburschla und Heldra zu erreichen. Nach anfänglichem Zögern und nach einigen Wochen der Ruhe kommt es am 10. Dezember 1971 zu einer freiwilligen Eingliederung Heldras an Wanfried. Heldras Bürgermeister Wandt erklärte, „dass ihm keine Entscheidung bisher so schwer gefallen sei wie diese und dass ihm auch keine andere Vertragsangelegenheit so viel Arbeit, Sorgen und Nöte bereitet habe, wie der Anschluss an Wanfried und das Aushandeln des Vertrags. Dieser Vertrag sei ein Kompromiss, mehr könne er aber auch nicht sein.

Altenburschla schloss sich Wanfried in letzter Sekunde an

Die Vertreter der Gemeinde Altenburschla blieben kurzentschlossen der Vertragsunterzeichnung am 10. Dezember fern und baten um erneuten Aufschub, da ihnen noch kurzfristig ein Schreiben des hessischen Gemeindetags zugegangen ist, das berechtigte Hoffnung machte. In dem Schreiben wird mitgeteilt, dass man die Möglichkeit prüfen wolle, ob die Gemeinde nicht doch selbstständig bleiben könne. Der Gemeindetag versuchte beim Hess. Innenministerium für Altenburschla eine Sonderregelung zu erreichen und damit die Eigenständigkeit zu bewahren. Als Grund wurde die Bedeutung Altenburschlas in Hessen und im internationalen Bereich angeführt sowie auf die zahlreichen prominenten Landes- und Bundespolitiker verwiesen, die um die Erfolge der Gemeinde wüssten. Dagegen gab es aber laut Zeitungsmeldung vom 24. Dezember 1971 deutlichen Widerstand, so dass das Ergebnis der Prüfung durch das Innenministerium negativ ausfiel. So kam es am 27. Dezember 1971 doch noch zur Unterzeichnung des Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsvertrages zwischen Wanfried und Altenburschla. Somit stand dem Start der Stadt Wanfried in der heutigen Gebietskörperschaft zum 01. Januar 1972 nichts mehr im Wege.

Beim Blick in die Inhalte der abgeschlossenen Verträge aus dem Jahr 1971 müssen die vier Ortsvorsteher und Wanfrieds Bürgermeister schmunzeln. Einerseits sind die aufgeführten Vertragspunkte aktueller denn je, andererseits sind sie aus heutiger Sicht aber auch völlig selbstverständlich. Beispielsweise wird der Erhalt der freiwilligen Feuerwehren beschrieben, der Bau von Kinderspielplätzen vereinbart oder der jährliche Zuschuss zum Kinderfest festgelegt. Auch der Ehrensold der Bürgermeister und der Kassenverwalter wird geregelt und anstehende Investitionen kleinerer Art aufgeführt.

Anfängliche Vorbehalte und Sorgen im Rückblick unbegründet

Insgesamt lassen sich aus den vorliegenden Zeitdokumenten größere und kleinere Vorbehalte und teils berechtigte und teils unberechtigte Sorgen der vier Gemeinden gegenüber der Eingliederung feststellen. 50 Jahre später erachten die Ortsvorsteher und Wanfrieds Bürgermeister die Sorgen als unbegründet. Man ist sich gemeinsam einig, dass der Zusammenschluss insgesamt geglückt ist und man bis heute gut und vertrauensvoll zusammenarbeitet. „Die Dörfer alleine könnten die heutigen Aufgaben und Herausforderungen gar nicht stemmen und es wäre ein Wahnsinn, wenn jedes Dorf die verwaltungstechnischen Voraussetzungen vorhalten müsste“, sind sich die Ortsvorsteher einig. „Man habe die Gebietsreform und die Eingliederung an Wanfried nicht bereut“, so die einhellige Meinung der vier Ortsvorsteher. „Zwar höre man immer mal wieder Stimmen, dass die Kernstadt bevorzugt werde, diese subjektive Wahrnehmung ist aber vermutlich ein Überbleibsel der damaligen Eingliederung. Zudem liege dieses Gefühl in der Natur der Sache, wenn eine vermeintlich größere Einheit eine kleinere übernimmt. Im direkten Kontakt mit dem Bürgermeister, dem Team der Stadtverwaltung und des Bauhofs können fast immer alle Probleme im engen Dialog schnell beseitigt werden“, freuen sich die vier Ortsvorsteher über die gute Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen in Wanfried.

Planungen 2022

Die vier Ortsvorsteher verständigten sich bei ihrem Treffen darauf, am 26. März 2022 eine gemeinsame Müllsammelaktion in allen vier Stadtteilen und der Kernstadt durchzuführen. Bei dem Datum schließt man sich dem bereits vom Heimatverein Altenburschla festgelegten Termin an und hofft auf viele Helferinnen und Helfer. „Wir wollen unsere Stadt und unsere Stadtteile im Jahr 50 nach dem Zusammenschluss gemeinsam von achtlos weggeworfenem Wohlstandsmüll befreien“, lädt Gebhard auch im Namen der vier Ortsvorsteher zum Mitmachen ein. Darüber hinaus wird darüber nachgedacht, dass sich alle Stadtteile beim traditionellen Wanfrieder Vogelschießen im Festzug präsentieren, sofern ein Festumzug wegen der Corona-Pandemie durchgeführt werden kann. Dem Schützenverein Wanfried hat Gebhard bereits vorgeschlagen, die Gebietsreform vor 50 Jahren als Motto für das diesjährige Volks-, Schützen- und Heimatfest zu nehmen. Das traditionelle Volksfest würde die Menschen aus allen Stadtteilen zusammenbringen, was in diesem besonderen Jahr eine wunderbare Gelegenheit darstellt.

Seit der Gebietsreform vor 50 Jahren waren folgende Bürgermeister und Ortsvorsteher im Amt:

Ortsvorsteher Altenburschla

Karl Montag                    1972 – 1993        

Ulrich Flender                 seit Mai 1993

Ortsvorsteher Aue

Gerd Gress                     1972 – 1985

Wilhelm Pfetzing            1985 – 1991

Brigitte Geiser                1992 – 1993

Wilhelm Auweiler            1993 – 1997

Heinrich Schuchardt        1997 – 2011

Bernd Auweiler               seit Mai 2011

Ortsvorsteher Heldra           

Günter Jakob                  1972 – 1979

Günter Buttlar                1979 – 1996

Manfred Dilling               1996 – 1998

Bernd Löffler                  1998 – 2010

Horst Rimbach                2010 – 2014

Helmut Bockel                2014 – 2016  (davon 6 Monate kommissarisch)

Dr. Ursula Trebing          2016 – 2021        

Helmut Bockel                seit Mai 2021

Ortsvorsteher Völkershausen       

Wilhelm Zeuch               1972 – 1973

Heinz-Günter Müßig        1974 – 1995

Wolfgang Schein            1995 – 2001

Manfred Schneider          seit Mai 2001

Bürgermeister der Stadt Wanfried:

Erich Thomas                  1959 – 1989

Otto Frank                      1989 – 2007

Wilhelm Gebhard            seit Oktober 2007


Zeitungsmeldungen, die deutlich machen, wie schwer die Verhandlungen mit Altenburschla abliefen. Erst am 27.12.1971 wurde der Vertrag dann doch no h unterzeichnet. Bilder existieren davon leider nicht

Handschlag zwischen Aues Bürgermeister Gerd Gress und Wanfrieds Bürgermeister Erich Thomas am 22.10.1971, dahinter Wilhelm Pfetzing aus Aue

Zeitungsmeldungen, die deutlich machen, wie schwer die Verhandlungen mit Altenburschla abliefen. Erst am 27.12.1971 wurde der Vertrag dann doch no h unterzeichnet. Bilder existieren davon leider nicht

Vertragsunterzeichnung mit Völkershausen am 17.09.1971 v.l.n.r.: Wilhelm Zeuch in Vertretung für den kurz zuvor verstorbenen Bürgermeister von Völkershausen, Robert Hose, Stadtverordnetenvorsteher Hans Sinke, Bürgermeister Erich Thomas, 1. Stadtrat Ernst Holzapfel

Zeitungsbericht über die die Vertragsunterzeichnung zwischen Heldra und Wanfried am 10. Dezember 1971