Bürgermeister Wilhelm Gebhard und Dekan Dr. Martin Arnold haben kürzlich eine nicht alltägliche gemeinsame Dienstreise unternommen. Ziel war das Staatsarchiv in Marburg. Dort hatten sie vor geraumer Zeit einen Termin vereinbart, um das dort befindliche Archivgut der Stadt Wanfried, welches in den Jahren 1950 und 1985 an das Staatsarchiv übergeben wurde, in Augenschein zu nehmen. Insgesamt lagern 103 Regalmeter Wanfrieder Stadtgeschichte in den 50 km langen Gängen des Staatsarchivs.
Eine Anfrage von Dr. Arnold beim Staatsarchiv brachte die Angelegenheit ins Rollen. Dekan Arnold, der auf der Suche nach weiteren Unterlagen zum 30-jährigen Krieg in Wanfried war, hoffte aus Marburg weitere Informationen und Unterlagen zur Wanfrieder Stadtgeschichte zu erhalten. „Die Archivalien sind zu einem großen Teil gar nicht erschlossen und verzeichnet, weil ein Moderschaden eingetreten ist“, erhielt er zur Antwort.
Dekan Arnold informierte Bürgermeister Wilhelm Gebhard. Beide entschlossen sich, das Archivgut aus dem 17. bis 20. Jahrhundert persönlich in Augenschein zu nehmen. Im Staatsarchiv Marburg erfuhren sie von dem Historiker Dr. Francesco Roberg und dem Diplom-Archivar Dominik Brendel, dass die Akten sowohl im Jahr 1950 als auch im Jahr 1985 ohne detaillierte Prüfung übernommen worden seien, da scheinbar im Rathaus wegen Umbaumaßnahmen Platz gebraucht wurde.
Das Archivgut ist teilweise stark verschmutzt. Einige Dokumente weisen auch Moderschäden auf. Dieser Zustand ist der früheren Notübernahme geschuldet. „Eine Situation, die keinesfalls zufriedenstellend ist“, betont Bürgermeister Wilhelm Gebhard, der hinter den 76 Metern unverzeichneten Archivguts noch zahlreiche interessante Dokumente und Informationen zur Stadtgeschichte vermutet. Das jedenfalls lässt das stichprobenartige Stöbern in der Wanfrieder Stadtgeschichte vermuten. Es ließen sich bei dem Kurzbesuch im Staatsarchiv bereits einige interessante Dokumente finden. So bspw. ein Buch mit Stadtrechnungen aus den Jahren 1644/1645, Polizeiakten aus dem Jahr 1923, Akten zum Schulbau im 19. Jahrhundert und Dokumente zum Feuerlösch- und Rettungswesen aus dem Jahr 1904 sowie die Satzung des Wanfrieder Schützenvereins im Jahr 1950. „Besonders interessant fand ich aus familiärer Sicht ein Protokoll einer Stadtverordnetenversammlung im Jahr 1908, welches von meinem Urgroßvater Dr. Ernst Gebhard als damaliger Stadtverordnetenvorsteher unterzeichnet war“, so Wilhelm Gebhard, der sich gerne noch stundenlang in Marburg aufgehalten hätte, wie er zugibt.
„Den Erhalt und die Aufarbeitung des Wanfrieder Archivguts sollten wir in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Stadt Wanfried und dem Hess. Landesarchiv angehen“, bekräftigt Dr. Francesco Roberg.
Mit den Mitarbeitern des Staatsarchivs wurde folgende weitere Vorgehensweise abgestimmt:
Zunächst einmal soll die Eigentumsfrage des Archivguts geklärt werden, da im Januar 2006 in beiderseitigem Einvernehmen der Depositalvertrag aufgekündigt wurde. Seitdem gibt es einen „Schwebezustand“. Das Staatsarchiv Marburg wird klären, ob im eigenen Haus eine Vorbewertung des unverzeichneten Archivguts vorgenommen werden kann. Anschließend wollen Stadt und Staatsarchiv gemeinsam mit der Archivberatungsstelle in Darmstadt klären, ob für die Reinigung und Aufarbeitung Fördergelder in Aussicht gestellt werden können. Danach gilt es zu beraten, wer das übrig gebliebene Archivgut dokumentieren und verzeichnen kann und wo es aufbewahrt wird.