Auf ein bewegtes 100-jähriges Leben kann Frau Herta Kobold aus Wanfried zurückblicken.
Sie wurde am 20. Dezember 1920 in Altenburschla als älteste Tochter der Eheleute Christine
und Fritz Gebauer geboren. Der jüngere Bruder ist im Jahr 1924 im Alter von 1 Jahr
verstorben, die jüngere Schwester ist 83-jährig in 2009 gestorben.
Nur ein Jahr nach der Einschulung zog die Familie von Altenburschla nach Völkershausen
um, wo die Mutter der Jubilarin herstammt. Nach der Schule fand Herta Kobold eine
Anstellung in der Wanfrieder Zigarrenfabrik Ungewitter und war fortan im Versand tätig. Dort
lernte sie ihren späteren Ehemann, Reinhold Kobold (*1905, +1976) aus Niederdünzebach
kennen. Er war bei Ungewitter als Prokurist tätig. Mit Kriegsbeginn wird ihr Lebensgefährte
Reinhold eingezogen und diente den ganzen Krieg über als einfacher Gefreiter. 1944
unternimmt die Jubilarin eine waghalsige Reise, um ihren Verlobten, der in Posen stationiert
ist, endlich mal wieder zu sehen. „Soweit ist sie danach nie mehr gereist“, verrät die
Jubilarin. Da Reinhold keine Kriegswitwe hinterlassen wollte, hat er seiner Verlobten die
Heirat erst nach dem Krieg versprochen. Diese konnte dann glücklicherweise und zur Freude
der beiden im Jahr 1946 stattfinden.
Für die Hochzeitsfeier besorgte der Vater von Herta Kobold ein Lamm bei einem Bauern.
„Als Bezahlung fertigte mein Vater, der von Beruf Schreiner war, dem Bauern ein ganzes
Schlafzimmer, was sich heute keiner vorstellen könne“, schmunzelt die Jubilarin und
berichtet von einer Zeit, in der der Hunger zum Alltag der Menschen gehörte. Weil Herta sich
nicht von ihrer Mutter trennen mag, blieb sie nach der Eheschließung erst einmal in
Völkershausen, während Reinhold in seinem Elternhaus in Niederdünzebach wohnte.
1949 erblickte Tochter Rosemarie das Licht der Welt. Erst zur Einschulung der Tochter im
Jahr 1955 folgte dann der Umzug nach Niederdünzebach. Dort gibt es einen riesigen
Selbstversorgergarten mit Kartoffelacker, Gemüsebeeten, Beerensträuchern, vielen
Obstbäumen und liebevoll gepflegten Blumenbeeten, den Herta Kobold von da an bis 1991
mit großer Leidenschaft bewirtschaftet. Übriggeblieben davon sind die vielen Blühpflanzen,
die sie in ihrem Zimmer im „Plesseblick“ hegt und pflegt.
Ihre zweite große Leidenschaft gilt dem Stricken. Tochter Rosemarie wird vor allem während
ihrer Schulzeit von ihren Klassenkameraden um ihre schönen Anziehsachen beneidet, die
Mutter Herta mit großem Geschick fertigte. Rosemarie ist jedoch nicht so begeistert, denn
jedes Mal, wenn sie aus einem Kleidungsstück herauswächst, zaubert ihre Mutter einen
passenden Wollrest hervor und strickt wieder an. Aus diesem Grund verbietet Rosemarie
ihrer Mutter auch, die beiden Enkellinnen zu bestricken. Herta Kobold ist aber pfiffig und
beginnt Kleidchen zu häkeln. Die Sachen sind so niedlich, dass ihre Tochter den
Widerstand aufgibt und Herta Kobold nun für die Enkelinnen auch stricken darf. Stricken,
Deckchen häkeln (u.a. für den Gemeindebasar) und Tischdecken sticken bleiben ein
geliebtes Hobby, bis ihre Hände bei diesen feinfühligen Tätigkeiten vor drei Jahren nicht
mehr mitspielen.
1976 stirbt ihr Mann nach langer Krankheit. Von ihm erzählt sie heute noch mit leuchtenden
Augen, was für ein guter Mann er gewesen ist. Er war immer fröhlich, hatte für niemanden
ein böses Wort und machte seinem Nachnamen alle Ehre, denn ihm saß der Schalk stets im
Nacken. Nach zwei Jahren hält Herta Kobold es nicht mehr allein in dem großen Haus aus
und zieht zu ihrer Schwester nach Völkershausen, wo sie auch bis zu deren Tod im Jahr
2009 wohnen bleibt. Die Geschwister waren schon immer ein Herz und eine Seele und so
funktioniert diese Wohngemeinschaft auch reibungslos. Das Haus in Niederdünzebach
bleibt in Herta Kobolds Besitz und damit auch der Garten.
Nach dem Tod von Ehemann Reinhold fährt die Jubilarin 14 Jahre lang mindestens dreimal
wöchentlich (im Sommer auch täglich) mit dem Fahrrad von Völkershausen nach
Niederdünzebach, bewirtschaftet dort den ganzen Tag ihren Garten und fährt abends, in der
Erntezeit oft schwerbepackt, wieder zurück. Nach dem Verkauf des Hauses 1991, kann sie
„nur noch“ ihre Schwester bei der Gartenarbeit unterstützen. „Vielleicht ist es diese
jahrzehntelange harte Arbeit in der freien Natur, der sie ihre robuste Gesundheit zu
verdanken hat“, vermutet Tochter Rosemarie.
Herta Kobold sagt von sich selbst, dass sie es toll findet, dieses hohe Alter bei bester
Gesundheit erreicht zu haben und grinst dabei wie ein Teenager. Ihre geistige Flexibilität hat
sie bis vor kurzem noch mit ihrer dritten Leidenschaft trainiert – dem Lösen von
Kreuzworträtseln. „Dass sie so alt werden durfte, hat sie auch der guten Pflege und
Betreuung durch das Team des Pflegezentrums Plesseblick in Wanfried zu verdanken, in
dem die Jubilarin seit dem Tod der Schwester wohnt“, ist sich Tochter Rosemarie sicher.
Hier erfährt sie eine liebevolle Betreuung und auch regelmäßigen Besuch von Familie und
Bekannten.
2001 wird Herta Kobold zum ersten Mal Uroma. Inzwischen hat sie zwei Urenkelinnen und
zwei Urenkel, die aber alle in Südhessen leben, weshalb sie sie viel zu selten sieht.
Bürgermeister Wilhelm Gebhard beglückwünschte die Jubilarin zum 100. Geburtstag am
gestrigen Sonntag auf der Terrasse des Pflegezentrums Plesseblick mit Mund-Nasen-Schutzbedeckung und mit dem nötigen Abstand.
Im Gepäck hatte Gebhard eine Christrose und eine Flasche Brombeerwein sowie auch die Glückwunschurkunden des Landkreises und des Ministerpräsidenten. Herta Kobold bestätigte er, dass sie aktuell die zweitälteste
Wanfrieder Bürgerin ist. „Eine beeindruckende Lebensleistung, wenn man sich vor Augen
führt, dass Herta Kobold der lebendige Beweis der jüngeren deutschen Geschichte ist. Sie
hat die Weimarer Republik erlebt, die Machtergreifung Hitlers, die schlimme Zeit des
Krieges, die Teilung Deutschlands, die Wende und ein vereintes Europa“, so Gebhard
abschließend, der sich mit Herta Kobolds Tochter Rosemarie einig war, dass dieser
besondere Geburtstag auch in Zeiten von Corona nicht ohne einen persönlichen
Glückwunsch der Stadt vorbeigehen dürfe.