Wanfried, Altenburschla, Aue, Heldra und Völkershausen werden eins
Den wenigsten wird bewusst sein, dass die Stadt Wanfried im Jahr 2022 auf ein besonderes Ereignis vor 50 Jahren zurückblicken kann. Mit Wirkung vom 01. Januar 1972 wurde aus ehemals vier selbstständigen Gemeinden und der Stadt Wanfried die heutige Gebietskörperschaft mit der Kernstadt und den dazugehörigen Stadtteilen Altenburschla, Aue, Heldra und Völkershausen. Bürgermeister Wilhelm Gebhard lud aus diesem Grund die vier Ortsvorsteher Ulrich Flender, Bernd Auweiler, Helmut Bockel und Manfred Schneider in den Sitzungssaal des Wanfrieder Rathauses ein, um sich gemeinsam zu erinnern und dieses besondere Jubiläum zu beraten.
Der Sitzungssaal, in dem sich die fünf Kommunalpolitiker Ende Januar trafen, war im Jahr 1971 Schauplatz der Unterzeichnung der Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsverträge, die die Eingliederung der vier Gemeinden zur Stadt Wanfried besiegeln sollten. Sie wurden im Zeitraum von September bis Dezember 1971 mit den einst selbstständigen Gemeinden abgeschlossen.
Dem vorausgegangen waren in den Jahren 1959 bis 1966 bereits intensive Überlegungen der Hess. Landesregierung sowie aller im Hess. Landtag vertretenen großen Parteien zur Reform der Gemeinden und Kreise in Hessen. Die Gebiets- und Verwaltungsreform wird in den 60er Jahren zunächst in Südhessen, Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre dann auch in Mittel- und Nordhessen in Angriff genommen. Die beiden Ortsvorsteher Ulrich Flender und Manfred Schneider brachten zu dem Treffen Archivmaterial aus der Zeit der Gebietsreform mit. Den zahlreichen Zeitungsmeldungen zufolge verliefen die Verhandlungen der Städte und Gemeinden im Altkreis Eschwege nicht überall problemlos. Die Gebietsreform war ein Topthema dieser Zeit und beschäftigte die politischen Gremien der Städte und Gemeinden wie kaum ein anderes. Immerhin ging es um keine geringere Frage, wohin man zukünftig gehören wollte bzw. sollte und zu welchen Bedingungen man seine Eigenständigkeit aufgeben würde.
Völkershausen unterzeichnete als erste Gemeinde den Vertrag
Trotz einer Zeitungsmeldung vom Januar 1971, die titelte, dass es Überlegungen zum Zusammenschluss der Gemeinden Altenburschla, Heldra und Völkershausen gibt, war der Stadtteil Völkershausen am 17. September die erste Gemeinde, die den Vertrag zum freiwilligen Zusammenschluss mit der Stadt Wanfried unterzeichnete. Laut Ortsvorsteher Manfred Schneider hat die kleinste Gemeinde damals eine gut gefüllte Gemeindekasse und 65 ha Gemeindewald mit in die „Ehe“ gebracht. „Von dem Stadtwald profitiert Wanfried noch heute“, ergänzt Gebhard. Völkershausen war damit eine der ersten Gemeinden im ehemaligen Kreis Eschwege überhaupt, die einen Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsvertrag abgeschlossen hat. Am 22. Oktober 1971 folgte dann die Unterzeichnung mit der Gemeinde Aue. Vorausgegangen war eine Befragung aller Haushalte, die darüber entscheiden konnten, ob sich Aue der Stadt Wanfried anschließt oder ob eine eigenständige Gemeinde mit Frieda und Schwebda gegründet werden soll. Die Haushalte entschieden sich mit Mehrheit für Wanfried. Die Gemeindevertretung von Aue schloss sich dann diesem Bürgervotum an.
Nicht so reibungslos verliefen die Verhandlungen mit den Nachbargemeinden Altenburschla und Heldra. Altenburschla hat anfänglich versucht mit Heldra, Weißenborn und Rambach eine selbstständige Gemeinde aufzubauen. Dieses Vorhaben wurde aber vom hessischen Gemeindetag verworfen. Anschließend wurde noch der Versuch unternommen, den von Landrat Eitel O. Höhne vorgeschlagenen, jedoch vom Innenminister nicht akzeptierten Zusammenschluss von Altenburschla und Heldra zu erreichen. Nach anfänglichem Zögern und nach einigen Wochen der Ruhe kommt es am 10. Dezember 1971 zu einer freiwilligen Eingliederung Heldras an Wanfried. Heldras Bürgermeister Wandt erklärte, „dass ihm keine Entscheidung bisher so schwer gefallen sei wie diese und dass ihm auch keine andere Vertragsangelegenheit so viel Arbeit, Sorgen und Nöte bereitet habe, wie der Anschluss an Wanfried und das Aushandeln des Vertrags. Dieser Vertrag sei ein Kompromiss, mehr könne er aber auch nicht sein.“
Altenburschla schloss sich Wanfried in letzter Sekunde an
Die Vertreter der Gemeinde Altenburschla blieben kurzentschlossen der Vertragsunterzeichnung am 10. Dezember fern und baten um erneuten Aufschub, da ihnen noch kurzfristig ein Schreiben des hessischen Gemeindetags zugegangen ist, das berechtigte Hoffnung machte. In dem Schreiben wird mitgeteilt, dass man die Möglichkeit prüfen wolle, ob die Gemeinde nicht doch selbstständig bleiben könne. Der Gemeindetag versuchte beim Hess. Innenministerium für Altenburschla eine Sonderregelung zu erreichen und damit die Eigenständigkeit zu bewahren. Als Grund wurde die Bedeutung Altenburschlas in Hessen und im internationalen Bereich angeführt sowie auf die zahlreichen prominenten Landes- und Bundespolitiker verwiesen, die um die Erfolge der Gemeinde wüssten. Dagegen gab es aber laut Zeitungsmeldung vom 24. Dezember 1971 deutlichen Widerstand, so dass das Ergebnis der Prüfung durch das Innenministerium negativ ausfiel. So kam es am 27. Dezember 1971 doch noch zur Unterzeichnung des Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsvertrages zwischen Wanfried und Altenburschla. Somit stand dem Start der Stadt Wanfried in der heutigen Gebietskörperschaft zum 01. Januar 1972 nichts mehr im Wege.
Beim Blick in die Inhalte der abgeschlossenen Verträge aus dem Jahr 1971 müssen die vier Ortsvorsteher und Wanfrieds Bürgermeister schmunzeln. Einerseits sind die aufgeführten Vertragspunkte aktueller denn je, andererseits sind sie aus heutiger Sicht aber auch völlig selbstverständlich. Beispielsweise wird der Erhalt der freiwilligen Feuerwehren beschrieben, der Bau von Kinderspielplätzen vereinbart oder der jährliche Zuschuss zum Kinderfest festgelegt. Auch der Ehrensold der Bürgermeister und der Kassenverwalter wird geregelt und anstehende Investitionen kleinerer Art aufgeführt.
Anfängliche Vorbehalte und Sorgen im Rückblick unbegründet
Insgesamt lassen sich aus den vorliegenden Zeitdokumenten größere und kleinere Vorbehalte und teils berechtigte und teils unberechtigte Sorgen der vier Gemeinden gegenüber der Eingliederung feststellen. 50 Jahre später erachten die Ortsvorsteher und Wanfrieds Bürgermeister die Sorgen als unbegründet. Man ist sich gemeinsam einig, dass der Zusammenschluss insgesamt geglückt ist und man bis heute gut und vertrauensvoll zusammenarbeitet. „Die Dörfer alleine könnten die heutigen Aufgaben und Herausforderungen gar nicht stemmen und es wäre ein Wahnsinn, wenn jedes Dorf die verwaltungstechnischen Voraussetzungen vorhalten müsste“, sind sich die Ortsvorsteher einig. „Man habe die Gebietsreform und die Eingliederung an Wanfried nicht bereut“, so die einhellige Meinung der vier Ortsvorsteher. „Zwar höre man immer mal wieder Stimmen, dass die Kernstadt bevorzugt werde, diese subjektive Wahrnehmung ist aber vermutlich ein Überbleibsel der damaligen Eingliederung. Zudem liege dieses Gefühl in der Natur der Sache, wenn eine vermeintlich größere Einheit eine kleinere übernimmt. Im direkten Kontakt mit dem Bürgermeister, dem Team der Stadtverwaltung und des Bauhofs können fast immer alle Probleme im engen Dialog schnell beseitigt werden“, freuen sich die vier Ortsvorsteher über die gute Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen in Wanfried.
Planungen 2022
Die vier Ortsvorsteher verständigten sich bei ihrem Treffen darauf, am 26. März 2022 eine gemeinsame Müllsammelaktion in allen vier Stadtteilen und der Kernstadt durchzuführen. Bei dem Datum schließt man sich dem bereits vom Heimatverein Altenburschla festgelegten Termin an und hofft auf viele Helferinnen und Helfer. „Wir wollen unsere Stadt und unsere Stadtteile im Jahr 50 nach dem Zusammenschluss gemeinsam von achtlos weggeworfenem Wohlstandsmüll befreien“, lädt Gebhard auch im Namen der vier Ortsvorsteher zum Mitmachen ein. Darüber hinaus wird darüber nachgedacht, dass sich alle Stadtteile beim traditionellen Wanfrieder Vogelschießen im Festzug präsentieren, sofern ein Festumzug wegen der Corona-Pandemie durchgeführt werden kann. Dem Schützenverein Wanfried hat Gebhard bereits vorgeschlagen, die Gebietsreform vor 50 Jahren als Motto für das diesjährige Volks-, Schützen- und Heimatfest zu nehmen. Das traditionelle Volksfest würde die Menschen aus allen Stadtteilen zusammenbringen, was in diesem besonderen Jahr eine wunderbare Gelegenheit darstellt.
Seit der Gebietsreform vor 50 Jahren waren folgende Bürgermeister und Ortsvorsteher im Amt:
Ortsvorsteher Altenburschla
Karl Montag 1972 – 1993
Ulrich Flender seit Mai 1993
Ortsvorsteher Aue
Gerd Gress 1972 – 1985
Wilhelm Pfetzing 1985 – 1991
Brigitte Geiser 1992 – 1993
Wilhelm Auweiler 1993 – 1997
Heinrich Schuchardt 1997 – 2011
Bernd Auweiler seit Mai 2011
Ortsvorsteher Heldra
Günter Jakob 1972 – 1979
Günter Buttlar 1979 – 1996
Manfred Dilling 1996 – 1998
Bernd Löffler 1998 – 2010
Horst Rimbach 2010 – 2014
Helmut Bockel 2014 – 2016 (davon 6 Monate kommissarisch)
Dr. Ursula Trebing 2016 – 2021
Helmut Bockel seit Mai 2021
Ortsvorsteher Völkershausen
Wilhelm Zeuch 1972 – 1973
Heinz-Günter Müßig 1974 – 1995
Wolfgang Schein 1995 – 2001
Manfred Schneider seit Mai 2001
Bürgermeister der Stadt Wanfried:
Erich Thomas 1959 – 1989
Otto Frank 1989 – 2007
Wilhelm Gebhard seit Oktober 2007