Am Rande einer Geschäftsreise stattete jetzt Harold („Harry“) Loebenstein aus Südafrika der Stadt Wanfried, dem Geburtstort seines Vaters, Arthur Löbenstein, einen Kurzbesuch ab. Herr Loebenstein, renommierter Winzer vom Kap der guten Hoffnung, hält wie sein dort lebender Cousin Leonard seit Längerem Kontakt in die Heimat seiner Vorfahren. Die Gelegenheit der Geschäftsreise bot dem Besucher die Möglichkeit, erstmals die Stadt der Brombeermänner aufzusuchen.
Harry Loebenstein wurde am Bahnhof in Eschwege empfangen. Angekommen in Wanfried wurde ihm der Wohnort seiner Vorfahren vorgestellt. Ebenso stand in dem dreistündigen Aufenthalt ein Besuch des jüdischen Friedhofs auf dem Programm. Dort konnte der Besucher an den Gräbern der Vorfahren verweilen. Ein emotionaler Besuch, wie der betreuende Mitarbeiter der Stadt, Christoph Braun, aber auch Bürgermeister Wilhelm Gebhard feststellten, die mit Harry Loebenstein am Wanfrieder Hafen zudem Kaffee tranken. Eine sehr herzliche Begegnung, die nach erster Bewertung weitere Besucher der weltweit verzweigten Familie erwarten lassen. Eine Begegnung, die aber auch das Gefühl vermittelte, man kenne sich schon lang. Ein Treffen von Brombeermännern also.
Harry Loebensteins Großvater war der aus Datterode stammende Viehhändler Joseph Löbenstein. Drei Jungen und drei Mädchen hatte die Familie, wovon zu Beginn der Weltwirtschaftskrise der älteste Sohn, Herz, 1923 nach Südafrika auswanderte. U. a. auch sein Bruder Arthur, Vater des jetzigen Besuchers, folgte ihm im September 1928 – also nahezu auf den Tag genau vor 90 Jahren.
Begeistert und sehr dankbar war der Gast für die wunderbare Betreuung in der schönen Stadt an der Werra und die Berührungspunkte mit der Familiengeschichte. Alles hinterließ einen tiefen Eindruck bei Harry Loebenstein. Es war nicht der letzte Besuch in Wanfried, so ließ er durchblicken. Aus dem Familienalbum stellte Harry Loebenstein u. a. ein Foto zur Verfügung, das seinen Vater mit gepackten Koffern – im Kreise von Familienangehörigen und/oder Nachbarinnen – am Tag der Abreise im September 1928 in Wanfried zeigt. Ein beeindruckendes fotografisches Dokument.
Die Menschen damals ahnten sicherlich, dass man sich u. U. nie wieder sehen würde, aber wahrscheinlich noch nicht, welch unmenschliche Zeit den Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland bevorstand.
Nun war der Nachfahre hier. Für Wanfrieds Bürgermeister war der Besuch ebenfalls ein emotionaler und wichtiger Moment zugleich. Ihm liegt der Kontakt zu Menschen, die in Wanfried Wurzeln haben seit Beginn seiner Amtszeit sehr am Herzen. Das belegen auch die regelmäßigen Grußbriefe an die ehemaligen Wanfrieder in aller Welt und an die Menschen, die sich mit Wanfried verbunden fühlen. So wird auch Harry Loebenstein zukünftig Post aus Wanfried erhalten. Der Kontakt zwischen Harry Loebenstein und Wilhelm Gebhard wurde durch einen bekennenden Heimatforscher aus Datterode hergestellt. Dafür ist Gebhard ebenfalls sehr dankbar.